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Interview

11 / 23 Lesedauer: min

"Linkedin-Marketing muss dringend verschlankt werden"

In Deutschland kennt sich wohl niemand besser mit Personal Branding auf Linkedin aus als Top-Voice Céline Flores Willers. Sie hat nicht nur selbst einen Großteil ihrer eigenen Karriere der Business Plattform zu verdanken. Seit 2020 berät sie mit ihrer eigenen Linkedin-Beratung The People Branding Company und rund 20 Mitarbeitenden Vorstände, Gründer-Persönlichkeiten bis hin zu HR- und Marketingabteilungen von DAX-Konzernen in Sachen Personal Branding. Im Interview mit Marina Rößer gibt sie Einblicke in die neuesten Trends im Linkedin-Marketing und erzählt, für wen die Plattform eher verschwendete Zeit ist.

Céline Flores Willers
CEO / The People Branding Company
Céline Flores Willers, CEO von The People Branding Company
INTERNET WORLD: 

Céline, was leistet Linkedin als Kanal, was andere Plattformen nicht leisten?

Céline Flores Willers: 

Das größte Asset auf Linkedin ist die Zielgruppe. Rund 60 Prozent der User sind zwischen 25 und 34 Jahre alt. Das sind häufig Leute, die gerade die Karriereleiter aufsteigen. Viele von ihnen sind bereits in Führungspositionen. Das sind die, die in den nächsten zehn, 20 und sogar 30 Jahren entscheiden, mit wem und wie zusammengearbeitet wird, wer eingestellt wird und wie Budgets verteilt werden. Das sind die Entscheider der Zukunft.

Außerdem handelt es sich dabei vor allem um Personen mit Berufen an digitalen Schnittstellen. Klar sind die auch auf anderen Plattformen, aber sie lassen sich nirgendwo sonst so gefiltert targeten wie auf Linkedin.

INTERNET WORLD: 

Kannst du noch mehr zur Zielgruppe erzählen?

Céline Flores Willers: 

Es ist dabei auch ein ganz klarer Trend in Richtung jüngere Zielgruppen zu beobachten. Mittlerweile nutzen knapp 22 Prozent der 18- bis 24-jährigen, und damit ein wichtiger Teil der Gen Z, Linkedin – sie sind sogar die zweitstärkste Usergruppe. Also es sind immer mehr Absolventen und Studenten, die sich anmelden. Für Linkedin selber ist es aber auch ein wichtiges strategisches Ziel, mehr junge Menschen auf die Plattform zu bekommen. Dafür engagiert sich Linkedin gerade extrem, unter anderem auch indem es selber auf anderen Plattformen wie TikTok aktiv ist. Alles mit dem Ziel, für die Entscheider von morgen schon jetzt attraktiv zu werden. Und wenn Linkedin das selber so pusht, bin ich davon überzeugt, dass sich dieser Trend fortsetzen wird.

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INTERNET WORLD: 

Für wen ist Linkedin denn nicht geeignet?

Céline Flores Willers: 

Da würde ich eher von den Produktgruppen her denken. Wenn es um das Ziel geht, neue Talente zu rekrutieren, ist Linkedin DIE Plattform. Auch im B2B-Sales-Geschäft outfperformt Linkedin andere Social-Media-Plattformen bei weitem. Wenn wir aber beispielsweise über Sales im Niedrigpreissegment von D2C-Marken sprechen, ist Linkedin mit Sicherheit nicht der beste Absatzkanal.

Für die Talentsuche, für das Employer Branding, ist Linkedin allerdings für jeden wichtig, egal ob B2B oder B2C. Auch eine Marke wie beispielsweise Marco Polo, mit der wir zusammenarbeiten dürfen, oder auch Hugo Boss um mal zwei Beispiele aus dem Fashionbereich zu nennen sind ja beides Marken, die über Linkedin nicht verkaufen, aber als Arbeitgeber auftreten. Und auch die werben auf Linkedin für die besten Talente. Seien es Entwickler, Leute im Einkauf oder im Finance-Bereich. Dahingehend ist es für jedes Unternehmen wichtig, entsprechend aktiv und präsent zu sein. Linkedin ist nun einmal die größte Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Plattform der Welt. Und wenn du da nicht mitspielst, dann spielst du im Arbeitsmarkt nicht mit.

INTERNET WORLD: 

Für welche Branchen gilt das besonders?

Céline Flores Willers: 

Wenn man sich die Zahlen anguckt, auch die, die Linkedin selbst liefert, sehen wir, dass die Nutzer von Linkedin ungefähr so über die verschiedenen Branchen verteilt sind, wie Arbeitskräfte anteilig tatsächlich in der Wirtschaft. Das heißt, man kann wirklich sagen, dass jede Branche vertreten ist und damit auch Leute in Entscheidungspersonen aus jeder Branche erreicht.

INTERNET WORLD: 

Also gibt es niemanden, der es sich leisten kann, nicht auf Linkedin aktiv zu sein?

Céline Flores Willers: 

Für Menschen, deren Jobs keine digitalen Schnittstellen haben, ist Linkedin denke ich eher verschwendete Zeit. Sei das der Arzt, Handwerker oder Bäcker: Diese Berufsgruppen finden zumindest aktuell noch nicht auf Linkedin statt. Trotzdem können sie auf Linkedin Reichweiten erzielen und so natürlich ihren Berufsstand stärken. Es gibt vereinzelt starke Account von Personen aus diesen Branchen. Sie schaffen Sichtbarkeit und Aufklärung für ihren Job, das ist auch wichtig!

INTERNET WORLD: 

Viele versuchen auf Linkedin ihre Dienstleistungen über In-Mails zu verkaufen, auch an Leute, die keinen Bedarf haben. Was hältst du davon?

Céline Flores Willers: 

Ich persönlich halte davon gar nichts, weil es einfach nervt. Es scheint jedoch eine Erfolgsquote zu geben, sonst würden Unternehmen das ja nicht trotzdem in Erwägung ziehen und machen. Das heißt von diesen tausenden von In-Mails scheint Null-Komma-irgendwas Prozent am Ende zum Erfolg zu führen. Und das scheint trotzdem genug zu sein, dass es sich für den ein oder anderen lohnt. Für unsere Kunden gesprochen kann ich sagen, haben wir diesen Case noch nicht gefunden und sehen es eher als problematisch für die Marke. Weil wenn du nervst, dann baust du keine gute Marke auf und das sollte langfristig immer im Fokus stehen. Wir verstehen Linkedin nicht als Outbound-, sondern als Inbound-Kanal. Das bedeutet, dass wir nicht von Selling, sondern von Social Selling sprechen. Und Social Selling bedeutet, den Faktor Mensch mitzudenken, sehr individualisiert vorzugehen und ganz gezielt zu segmentieren, ganz individuelle Ansprachen zu wählen. Nur so erreichen wir eine wesentlich höhere Response Rate. Von 100 Leads, die wir für unsere Kunden angehen, erzielen wir dann zum Beispiel Response Rates von 30 Prozent. Und das ist natürlich verdammt hoch im Vergleich zu anderen Ansätzen. Und gleichzeitig ist das fördernd für die Marke. Denn selbst wenn jemand nicht kauft, hatte die Person einen sehr sympathischen Touchpoint mit dem Unternehmen, der positiv in Erinnerung bleibt.

INTERNET WORLD: 

Abgesehen vom Employer Branding, welche Rolle kann Linkedin für Brand Marketing spielen?

Céline Flores Willers: 

Wir empfehlen Marketern immer, auf die organischen Reichweiten von Linkedin zu setzen. Einfach, weil da so viel möglich ist. Warum würdest du Geld für etwas ausgeben, wenn du organisch eine viel höhere Reichweite hast? Unsere Empfehlung lautet aber dennoch, das nicht über die Unternehmensseite zu tun, sondern über die Mitarbeitenden. Natürlich kann man auch Linkedin-Marketing betreiben, indem man Ads über die Unternehmensseite schaltet. Doch wenn man die Tausenderkontaktpreise von über 30 Euro mit denen von Facebook oder Instagram mit sechs Euro vergleicht, ist das ganz schön teuer. Das ist zwar nicht grundsätzlich schlecht, denn auf Linkedin haben wir eine höherwertige Zielgruppe mit mehr Kaufkraft. Wenn eine Marke jedoch Produkte für wenige Euro verkauft, lohnt sich das nicht. Man bräuchte mit Blick auf Sales schon Produkte mit hohem Dealvolumen und hohen Margen, damit es Sinn macht, hier Geld auszugeben. Sales für Enterprise Software z.B. wäre so ein Case, der Sinn macht.

INTERNET WORLD: 

Worauf sollten Werbungtreibende noch achten?

Céline Flores Willers: 

Eigentlich genau auf diesen schon erwähnten Shift, dass es weg von Unternehmensaccounts hin zur Mitarbeiterkommunikation geht. Sei es für Sales, für Recruiting oder auch für PR. Menschen connecten sich auf Linkedin am liebsten mit anderen Menschen und machen mit ihnen Geschäfte. Das gilt es zu nutzen. Die Corporate Influencer aus unseren Trainingsprogrammen erhalten oft schon in den ersten Wochen Anfragen zu offenen Stellen von potentiellen Bewerbern. Da sieht man mal, wie schnell Mitarbeiter zu Ansprechpartnern werden und wie schnell sich das Potential hebeln lässt. Diese persönliche Interaktion entsteht zwischen einer Unternehmensseite und einem potenziellen Bewerber definitiv nicht. Ein Beispiel aus der PR: Bereits zwei Mal wurden Corporate Influencer aus unseren Trainings von Journalisten der Süddeutschen Zeitung angefragt. Ähnliche Erfolgsgeschichten gibt es zu Haufe.  

Ein weiterer Tipp von mir ist, aus dem Sendermodus rauszukommen. Es geht oft nur darum, ‚was wollen wir als Unternehmen sagen?‘. Social-Media-Kanäle und auch Linkedin leben aber von den Communities. Und Community-Aufbau bedeutet beidseitig zu verstehen, was die Leute sehen wollen. Das heißt aber auch, dass man eine Linkedin-Only Strategie braucht und nicht nur Inhalte von anderen Social Media Plattformen zweitverwerten kann.

Der dritte Hinweis, den ich habe, ist, sich mit dem Algorithmus auseinanderzusetzen. Im Gegensatz zu Out-of-Home oder Fernsehkampagnen kannst du auf Social Media nur erfolgreich sein, wenn du den Algorithmus verstehst. Man kann sich ansonsten die allertollsten Sachen ausdenken und superhochwertigen Content produzieren, wenn der Post im Algorithmus nicht performt, wird ihn keiner zu sehen bekommen. Und ich glaube, das vergessen ganz viele. Es braucht ein tiefes Plattformverständnis.

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INTERNET WORLD: 

Welche Trends lassen sich beobachten?

Céline Flores Willers: 

Bisher waren Gründer, CEOs und vielleicht noch die zweite Führungsebene die Personen mit den höchsten Reichweiten in Unternehmen. Schließlich kennen sie die Dos und Don’ts der Kommunikation am besten und sind auch die, die Konsequenzen verantworten, wenn etwas schief geht. Damit hatten sie immer einen extrem großen strategischen Vorteil in Sachen Personal Branding. Mitarbeitende hingegen waren oft unsicher, ob sie überhaupt etwas posten dürfen und dementsprechend auf Linkedin sehr verhalten bis inaktiv. Mittlerweile werden aber auch Mitarbeitende immer mutiger und werden eben oft professionell als Corporate Influencer ausgebildet. Eben weil viele Marketer verstanden haben, dass in Mitarbeiterprofilen viel Power liegt. Und dann wird der Tag kommen, an dem ein Junior Project Manager mehr Follower als der CEO selbst hat. Das ist einerseits extrem spannend, bedeutet aber auch, dass Unternehmen in Zukunft entsprechende vertragliche Regelwerke etablieren müssen. Auch dabei helfen wir unseren Kunden. Für Unternehmen sind das Riesenchancen. Im besten Fall müssen sie sich keine Influencer mehr extern einkaufen, sondern haben die bereits im Unternehmen sitzen.

Aber auch allgemein das Thema Business Influencing wird ein Linkedin-Trend-Thema 2024 sein. Die wenigsten Unternehmen haben bisher darüber nachgedacht, einen Linkedin Influencer dafür zu bezahlen, ihre offene Stelle oder einen großen Produkt-Launch zu bewerben. Das werden wir im kommenden Jahr vermehrt sehen und auch wir bauen in dem Bereich eine neue Einheit auf. Und auch Linkedin hat das erkannt und testet bereits, Werbung über Personenprofile zu pushen. Das ist ein komplett neuer Influencer-Markt, der da gerade entsteht.

INTERNET WORLD: 

Jetzt haben wir viel über Chancen gesprochen. Was sind denn aktuell die größten Herausforderungen im Linkedin-Marketing?

Céline Flores Willers: 

Ich denke, die größte Herausforderung ist die Geschwindigkeit. Obwohl viele Unternehmen auch längst auf Instagram, TikTok und Co. unterwegs sind, habe ich oft das Gefühl, das bei Linkedin viel zu viel Wert auf Perfektion gelegt wird. Das verlangsamt das ganze Thema Linkedin-Marketing extrem. Social Media bedeutet hingegen Echtzeitkommunikation. Social Media ist ein Experimentierfeld und nur wer mutig testet und daraus lernt, kann hier gewinnen. Ich will hier auch ganz bewusst die Heads of Marketing und deren Team-Leads adressieren und ermutigen, ins Doing zu kommen. Es gilt, die Verantwortung und den Mut zusammennehmen, die Kommunikation hier auch wirklich zu steuern.

Mit Blick auf die Mitarbeiterkommunikation, über die wir gerade viel gesprochen haben, ist es glaube ich der Faktor Neid. Denn wenn jemand im Unternehmen erstmal sichtbar ist, etwas Tolles kreiert und öffentlich positives Feedback bekommt, gibt es intern immer auch Leute, die blöde Sprüche klopfen. Oft spricht Neid aus ihnen. Den Mitarbeitern, die aber bereit sind, genau diese Extrameile zu gehen und für das Unternehmen öffentlich einzustehen, denen muss vom Management den Rücken gestärkt werden, damit sie sich das auch weiterhin trauen. Da braucht es vom Marketing, von der Kommunikationsabteilung und vom CEO das klare Standing „Wir wollen, dass ihr aktiv seid und wir wollen, dass ihr sichtbar seid. Wir stehen dahinter.“

Marina Rößer

Verantwortlich für den Inhalt
Marina Rößer hat in München Politische Wissenschaften studiert, bevor sie ihre berufliche Laufbahn in einem Start-up begann und 2019 zu W&V stieß. Derzeit schreibt sie freiberuflich von überall aus der Welt, am liebsten in Asien, und interessiert sich besonders für Themen wie Nachhaltigkeit und Diversity.